Utopival - ein ausführlicher Bericht

von Marieke K. (Teilnehmerin)

Utopival – wo jede*r und alles seinen Platz hat

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich verstanden, dass ich immer und bei jeder Gelegenheit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin und dass alles, was geschieht, richtig ist – von da an konnte ich ruhig sein. Heute weiß ich: Das nennt man Vertrauen.

Plötzlich sitze ich, 2,5 Monate nach der Auslosung, schnippelnd zwischen ein paar der 130 Menschen, die ich zum Großteil noch nie vorher gesehen habe. Meine Unsicherheit verfliegt langsam und mir wird klar: genau hier bin ich gerade richtig.

„Hier“ ist in diesem Fall das wundervolle Geschenk von Ilse und ihren Töchtern, die uns ermöglichen sechs Tage lang in ihrem großartigen Garten zu leben, zu lernen und zu lachen. Zwischen Bäumen, See und selbstgebauten Komposttoiletten lerne ich beim Schnippeln der geretteten und geschenkten Lebensmittel sofort eine Hand voll Menschen kennen und stelle immer wieder fest, dass wir schon längst Berührungspunkte gehabt haben könnten, aber es nun hier endlich so sein sollte, dass wir uns begegnen. Es wird gelacht, geredet und ganz nebenbei füllen sich eine Vielzahl an Wannen mit frischem Gemüse. Verrückt, wie schnell das geht, wenn jeder ein bisschen mithilft, denke ich. Auch wenn ich inzwischen doch schon über Stunden da sitze und immer mehr Menschen kennen lernen darf. Um uns herum sammeln sich auch andere neugierige Mitmacher jeden Alters an. Manche noch bepackt, manche noch etwas verloren, aber alle mit einem Lachen im Gesicht.

Nach dem Essen auf der Wiese geht es dann los: Viel Orgakram (der uns von nun an immer mal wieder von dem eigentlichen Zeitplan abbringen wird): die Vorstellung des wundervollen Orga- und Teamerteams und des Geländes. Außerdem wird der Klodienst eingeteilt - Ich hätte nicht gedacht, eine solche Begeisterung für diese Toiletten zu entwickeln, die voller Liebe und Energie gebaut wurden, aber ich bin wirklich beeindruckt von dem Komfort und der Nachhaltigkeit, die sie mit sich bringen und davon, wie gut manche Menschen darüber Bescheid wissen.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich aufgehört, mich meiner freien Zeit zu berauben, und ich habe aufgehört, weiter grandiose Projekte für die Zukunft zu entwerfen. Heute mache ich nur das, was mir Spaß und Freude macht, was ich liebe und was mein Herz zum Lachen bringt, auf meine eigene Art und Weise und in meinem Tempo. Heute weiß ich: Das nennt man Ehrlichkeit.

Die folgenden Tage sind gefüllt mit einem sanften Aufwachen von wundervoller Musik (meiner Dankbarkeit und Bewunderung dafür habe ich nicht genug Raum gegeben, stelle ich gerade fest). Gemeinsamen Kochen und Essen der kostbaren Lebensmitteln, die drei Mal täglich unsere Mägen füllen. Vegan, bio, lecker und ich persönlich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so ausgewogen und gut gegessen habe. Morgenimpulse samt Energizer erschaffen einen bewussten Start in den Tag, vor allem Jens' zitierter Charlie Chaplin bleibt bei mir hängen. Aber auch das gemeinsame Singen, Anschauen, Begegnen hallt in mir nach. Offene Blicke und ermunternde, lächelnde Gesichter bewegen sich aufeinander zu, halten kurz inne, gehen weiter. Jeder wird wahrgenommen, jeder sieht.

25 spannenden Workshops, von denen ich eigentlich keinen verpassen möchte, füllen die Tage. Ich erlebe jedes Mal aufs Neue fantastische Referenten, die uns von ihnen und von uns selbst lernen lassen. Der Austausch ist besonders, das Miteinander offen und ehrlich. In den verschiedenen Konstellationen entsteht wiederholt innerhalb kurzer Zeit eine Intimität, für die man in anderen Kontexten Wochen braucht. Das Miteinander ist auf Vertrauen gebaut.

Ich selbst konnte (leider nur) vier Workshops selbst miterleben. (Ein kurzer Bericht zu jedem davon ist weiter unten zu finden.)

Über die Workshops hinaus, gibt es für jeden von uns Besuchern noch die Möglichkeit im „Open Space“ Diskussionen, Aktivitäten und Workshops anzubieten. Beispiele dafür (leider habe ich nicht an allzu vielen teilnehmen können, da mir die Entspannung zwischendurch auch sehr wichtig war): Massagen, Lachyoga oder auch eine rege Diskussion darüber, wie das Utopival noch anders gestaltet werden kann, damit z.B. das Orga-Team noch mehr entlastet wird. All das geschieht auch in einem sehr liebevollen und sensiblen Umgang.

Ein ganz besonderer Morgen ist der Donnerstag. Es liegen schon drei Tage voller Austausch, Lachen und Singen hinter uns, doch nun schweigen wir. Nehmen uns anders wahr. Nehmen unsere Umgebung anders wahr. Nehmen das Essen anders wahr. Es ändert sich etwas. Nicht nur unsere Ohren entspannen sich, alles entspannt sich. Eine Besonnenheit breitet sich über uns essenden Menschen aus, als wäre dadurch ein neues Level an Genuss erreicht. Wir essen langsamer. Kommunizieren mit Lächeln und Blicken. Oder genießen all das, was wir nun plötzlich empfinden mit uns selbst. Eine wundervolle Erfahrung, dies zeitgleich mit so vielen Menschen zu teilen und ihnen dabei zuzusehen, wie sich ein Genuss der Stille ausbreitet.

Später tauschen wir uns in großer Runde noch aus, wie wir das hier Erlernte und Erlebte mit in unseren Alltag tragen können: welche Projekte gibt es schon, welche können wir gemeinsam im nun entstandenen Netzwerk beginnen? Wo können wir zusammenarbeiten? Von anderen lernen, uns gegenseitig unterstützen? Die Ideen sind groß, die Ideen sind verträumt. Und sie machen Lust, weiterzumachen dort, wo wir in diesen Tagen angefangen haben.

Trotz all den Eindrücken, den Angeboten und ernsten Themen, habe ich viele Momente voller Freude und Lachen erleben dürfen. Ich habe den ehrlichen und offenen Austausch genauso geschätzt, wie die Möglichkeit, in meiner positiven Einsamkeit darüber zu reflektieren.

Es ist ein beflügelndes Gefühl, zu bemerken, dass wir genau so, wie wir sind, sein dürfen. Jeder konnte sein Talent dort einbringen, wo es seinen Platz hatte.

[Ich möchte an dieser Stelle den blinden Teilnehmer Norbert nochmal hervorheben, der bei der Open Stage mit seiner Lebensfreude und Energie „Wer tanzt wie eine Feder ..“ langfristig einen bereichernden Ohrwurm mitgegeben hat. Ich könnte hier noch viele andere Menschen aufzählen, die mich lediglich durch ihr Wesen nachhaltig beeindruckt haben, aber das würde wohl den Rahmen sprengen.]

Ich darf jeden Abend erschöpft, aber erfüllt einschlafen um am nächsten Tag aufs Neue baden zu gehen, von der Harfenmusik in eine andere Welt entführt zu werden, talentierten Menschen zuzusehen und zuzuhören, Lieder zu singen, um Menschen auf eine intensive Art zu begegnen.

Ich möchte mit Dankbarkeit abschließen, dafür, eine fabelhafte Zeit unter wertschätzenden und liebeerfüllten Menschen zu verbringen, die mir gezeigt haben, dass ich mit meinen Träumen von einer Utopie doch irgendwo dazugehöre.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich mich geweigert, weiter in der Vergangenheit zu leben und mich um meine Zukunft zu sorgen. Jetzt lebe ich nur noch in diesem Augenblick, wo alles stattfindet. So lebe ich heute jeden Tag und nenne es Bewusstheit.